Die Strasse ist schnurgerade, der Gegenverkehr dicht. Morgens um acht reihen sich hier Wagen an Wagen Richtung Zürich. Dann geht es blitzschnell. Plötzlich steht dieses Auto frontal vor mir. «Was will dieser Wagen da?», schiesst mir ein Gedanke im Bruchteil einer Sekunde durch den Kopf? Dann knallt es. Der Aufprall erfolgt ungebremst. Von 80 km/h auf Null. Reifen quitschen, Blech kracht, Glas splittert, die Airbags explodieren. Die Autofronten prallen aufeinander, dann spickt der andere um seine eigene Achse weg. Ich sehe nur das unversehrte Heck des andern Wagens. Und plötzlich ist alles um mich herum gespenstisch still.
Die Welt steht still, keine Bewegung mehr. Es riecht nach nichts. «Bin ich jetzt tot?» Aus der Motorhaube, die um die Hälfte gestaucht ist, kriecht leise Rauch. Wie eklige Maden schlängelt er sich über das zerquetschte Blech. «Explodiert es jetzt, mein Bat-Mobil?». Ich war doch so stolz auf meinen nardograuen Audi. Ich legte schon immer Wert auf Autos. Klar mochte ich deren Schnelligkeit und Power, doch meine Wagen waren auch Ausdruck meines Erfolgs. Deshalb hatte ich meinen SQ5 ins letzte Detail konfiguriert bis hin zu den roten Bremssättel in Porsche-Manier. Ich mochte den kernigen Motorensound, der an einen V8 erinnerte, und liebte den unendlichen Power unter seiner Haube.
«Warum bin ich überhaupt noch am Leben?».
Wenn dies das Ende wäre, wäre es endlich vorbei, hier an diesem kaltfeuchten Dezembermorgen am Katzensee. «Ich wäre sie los, diese unendliche Leere, die mich umklammert mit der Kälte der Hand eines Skeletts. Und diese mich lähmende und manipulierende Beziehung.» Wie konnte es nur so weit kommen? Mein ganzes Leben fühlte sich irgendwie falsch an. Ich kann kaum atmen, mein Nacken und meine Brust schmerzen. Ich kann mich nicht bewegen. Wie versteinert sitze ich da. Angst steigt in mir hoch zwischen all den Airbags in diesem Autowrack mitten in dieser nebligen Ebene auf dieser schnurgeraden Strasse.
Die Welt um mich herum steht immer noch still. Ich nehme kaum wahr, dass plötzlich eine tiefe Männerstimme aus meinem Auto langsam mit mir spricht. «Bleiben Sie ganz ruhig. Notfalldienst und Polizei sind unterwegs, wir haben Sie geortet. Sind Sie alleine?». Die Stimme eines Engels und doch fühlt es sich unreal an, wie in einem Science Fiction Streifen. Mein SQ5 hatte selbst den Notruf ausgelöst. Tränen kullern mir über die Wangen. Ich schlottere. Wenn die wüssten, wie allein ich war! Trotzdem krame ich benommen nach meinem Handy und rufe ihn an.
Die Sanitäter steckten mich in einen steifen Ganzkörper-Pariser. Keinen Milimeter meines Körpers konnte ich bewegen. Gefühlt 20 Ärzte und Pflegefachpersonen nahmen mich im Spital in Empfang. Ich konnte nichts sehen, den Kopf nicht drehen. Sie steckten mich in eine Röhre nach der andern, untersuchten mich mit unzähligen Maschinen. Nach vier Stunden kam eine Ärztin: «Aus diesem Raum ist noch nie ein Patient hinausgelaufen. Aber Sie können gehen. Ihnen fehlt nichts.» Erst Tage später realisierte ich, dass es ein Zeichen war. Ein Zeichen aufzuwachen, mein Leben wieder in die Hand zu nehmen und dem Ruf der Freude und meinem inneren Seelenplan zu folgen.