«Sicherheit in diesen Zeiten?», dass ich nicht lache! Wir sind alle der Pandemie müde. Wir sind verunsichert. Was wird die Zukunft bringen? Und wir sind verärgert. Unsere Freiheit ist eingeschränkt. Wir fühlen uns bevormundet, von Freunden getrennt, der Hobbies beraubt. Ganze Branchen kämpfen gegen ihre Hinrichtung. Wir wollen Gerechtigkeit. Und wir wollen, dass es endlich wieder «normal» wird. Doch was ist «normal»? Ist es das Gewohnte? Ist es die Routine? Oder ist es ganz einfach das Bedürfnis nach Sicherheit?
Wir haben alle unsere eigene Geschichte, wie wir uns durch den Verlauf der Pandemie gekämpft haben und es immer noch tun. Wir haben Angst, wir haben Mut und wir versuchen, die Hoffnung nicht aufzugeben. Wir geben uns Mühe weiterzukämpfen. Bund und Kantone finden sich plötzlich in neuen, autoritären Rollen. Heerscharen von Experten werden befragt, es wird analysiert – mit oder ohne Filter – ausgewertet, prognostiziert und geregelt, direkte Opfer werden gezählt, die Anzahl der indirekten bleibt unabschätzbar. Extreme Meinungen driften immer stärker auseinander: Hier die Hetzkampagnen der Corona-Leugner und Massnahmen-Gegner, dort die folgsamen Angstgetriebenen, die sich wie Lämmer in ihrer Angst zusammentreiben und einpferchen lassen – ohne sich aufgrund der Abstandsregeln aneinander klammern zu können. Zwischen den beiden Lagern streuen die Medien Öl ins Feuer, übertreffen sich gegenseitig mit Negativmeldungen und Impfsensationen. Auch wenn es noch andere Themen gäbe. Positivere. Opposition macht sich breit. Viele haben schlicht «die Schnauze voll» von Corona und der damit verbundenen Panikmache. Sie wollen ihr «normales» Leben zurück. Doch «normal» hatten wir nie zuvor definiert. Vieles hatte auch mit Gewohnheit zu tun, manches waren wir uns gar nicht bewusst. Erst jetzt, wo es uns fehlt, stellen wir den Wert fest, den es für uns hatte.
Hast du dich je ehrlich gefragt, was deine persönlichen Werte sind?
Hast du dich je ehrlich gefragt, was deine persönlichen Werte sind? Es geht dabei nicht um das Erreichen deiner Ziele beruflicher oder privater Art. Es geht auch nicht um den Kauf deines Traumautos oder eines Eigenheims. Es geht um tiefere Aspekte, um die Schlüsselthemen unseres menschlichen Lebens und um deine Grundbedürfnisse.
Sicherheit als Grundbedürfnis
Eines der wichtigsten menschlichen Grundbedürfnisse ist das Bedürfnis nach Sicherheit. Dazu gehört der Wunsch nach Balance und Harmonie. Je nach Alter und Lebensstand steht dabei ein ganz anderes Sicherheitsbedürfnis im Vordergrund. Das Neugeborene findet seine Sicherheit im Arm der Mutter, braucht in erster Linie Nähe und Geborgenheit. Als Kind entwickeln wir langsam unsere Persönlichkeit. Wir wollen selber entscheiden, fühlen uns aber sicher, wenn die Eltern da sind und sich um uns kümmern. Als Erwachsene suchen wir immer mehr eine Verbindung, um uns sicher zu fühlen: Die Verbindung zu anderen Menschen – sei dies in einer Partnerschaft oder im Freundeskreis – oder aber die Verbindung zu Aktivitäten, in denen wir einen Sinn sehen. So fühlen wir uns eingebettet in einer Ordnung. Das Bedürfnis nach Sicherheit wird befriedigt und wir sind im Frieden und im Vertrauen.
Zu wenig Sicherheit bringt Stress und macht Angst.
Wird unser Bedürfnis nach Sicherheit jedoch nicht oder nur ungenügend befriedigt, fühlen wir uns gestresst. Unsicherheit kommt auf, Angst breitet sich aus. Kennen wir nicht alle diesen Mechanismus aus der Kommunikation rund um die Pandemie? Völlig abgesehen davon, was wahr und belegbar ist und was nicht, beinhaltet die allgegenwärtige Kommunikation vor allem Widersprüchlichkeiten. Damit versprüht sie Unsicherheit und Angst. Mutmassungen rund um die Impfung oder damit verbundene Drohungen oder Auflagen zur Steigerung der Schweizer Impfmotivation verbessern weder die Lage, noch tragen sie zu einer Beruhigung gegen die Angstmache bei. Unsere Ordnung – und damit unser Bedürfnis nach Sicherheit – ist völlig über den Haufen geworfen worden.
Und was ist mit unserer Freiheit?
Wir wollen wieder frei leben können. Doch wo beginnt Freiheit? Sie beginnt genau dort, wo wir uns bewusstwerden, dass wir wählen können. Wir haben in jeder Situation und immer eine Wahl. Stehen wir vor einem Verbotsschild liegt es an uns, ob wir frustriert oder verängstigt sind, weil uns etwas verboten oder weggenommen wird, oder ob wir interessiert und offen nach einer Alternative Ausschau halten. Unbekanntes kann in uns Angst auslösen, die Kehrseite der Medaille anzuschauen, kann neue Wege öffnen. Wenn wir im Feind plötzlich einfach den Menschen sehen, besteht kein Grund mehr zu Konflikt oder Kampf. Das Wertesystem verschiebt sich. Und indem wir wählen können, sind wir frei. Und wir fühlen uns sicher.
Der Wunsch, uns auszudrücken
Ein weiteres wichtiges Grundbedürfnis ist jenes nach der Durchsetzung. Wir alle verspüren den Wunsch, uns ausdrücken zu können, gehört zu werden, Wirkung zu erzielen und uns für uns und unsere Anliegen durchzusetzen. Gelingt das, wird unsere Selbstachtung und unser Erfolgsbewusstsein gestärkt. Wir sind in unserer Kraft, oder im «Flow», wie das Modewort so schön heisst.
Können wir uns durchsetzen, sind wir in unserer Kraft, «im Flow».
Können wir unser Bedürfnis nach Durchsetzung jedoch nicht genügend befriedigen, sind wir frustriert. Wir ärgern uns, wenn wir unsere Meinung nicht kundtun können, sei dies privat oder im Beruf. Der angestaute Ärger explodiert dann plötzlich unkontrolliert, wenn ein Tropfen das Fass zum Überlaufen gebracht hat, oder aber wir fressen diese negativen Gefühle in uns hinein und landen womöglich in einer Depression.
Antennen ausfahren
Unsere Werte und die damit einhergehenden Bedürfnisse bilden unser Fundament. Das Fundament, uns sicher zu fühlen. Dieser Boden hat uns die Pandemie unter den Füssen weggerissen. Und plötzlich haben wir das Gefühl, haltlos im Universum zu schweben. Im Universum gibt es keine festen Bezugspunkte: Weder oben, noch unten. Nur Raum. Keine allgemeingültige Moral. Die einzige Chance auf Orientierung im riesigen Universum sind unsere Werte. Und wie wir diese eigenen Werte leben.
Wir sind gezwungen, unsere Antennen auszufahren und unsere Werte zu analysieren. Nicht dass das Leben in diesem Wissen einfacher wird. Im Gegenteil. Es wird eher herausfordernder, heisser. Denn wir realisieren plötzlich, dass wir unsere Werte gar nicht so leben, wie wir es eigentlich gerne würden. Und so stehen wir mitten im Feuer, welches wir selber angezündet haben. Doch zur Beruhigung sei angeführt: Ob perfektionistischer Touch oder moralische Gründe: Der Auftrag eines Wertes ist es nicht, ihn hundertprozentig zu erfüllen. Es geht darum, ihn in jeder Lebensphase bestmöglich gerecht zu werden. Der erste Lockdown hatte uns komplett lahmgelegt und wir hatten uns ohnmächtig zurückgehalten und untergeordnet. Nun beginnen wir, wieder Verantwortung zu übernehmen und erkennen Monate später, dass wir damals bestimmte Aspekte nicht zu greifen bekamen. Heute wissen wir mehr. Zwar bleiben wir in der Hitze des Konflikts. Aber auf die ursprüngliche Ratlosigkeit, folgt heute die Eigenverantwortung. Stimmen werden laut, die sich auszudrücken versuchen. Wir nutzen die aktuelle Situation, um zu erkennen, was dieser Wert auf einer noch feineren Ebene wirklich bedeutet.
Gemeinschaft bringt Sicherheit
Sozialstudien belegen: Der Mensch wird erst durch die menschliche Gemeinschaft zum Menschen. Würden Menschen vereinzelt und einsam aufwachsen und leben, so würden sie die eigentlichen menschlichen Eigenschaften wie Gefühle, Mitgefühl oder Empathie nur dürftig entwickeln. Jeder Mensch kann erst durch seine sozialen Beziehungen seine Bedürfnisse in gegenseitige Unterstützung befriedigen. Es geht nun darum, uns und unser Land aus dieser Krise zu führen – als Gemeinschaftsprojekt. Autoritäres Verhalten darf nicht zur neuen Norm werden. Was gut gemeint ist, kann manchmal auch das Gegenteil bewirken. Zwei Schritte zurück können auch zwei Schritte in die richtige Richtung sein. Kleine Dinge erhalten plötzlich wieder einen grossen Wert. Ein Schwatz unter älteren Bewohnern eines Wohnblocks vor dem Briefkasten wird plötzlich zu deren Tages-Highlight und zeigt einen neuen Wert der Geselligkeit. Freiheit – der Entscheid, ob wir zu Hause oder im Restaurant essen möchten – wird plötzlich zum grössten Geschenk. Und wir realisieren, dass wir wieder in einer Gemeinschaft leben wollen. Mit Umarmungen, wo wir möchten, und mit so viel Abstand, wie wir es als richtig empfinden. Weil uns das als Menschen zu einem grossen Teil ausmacht. Und weil wir uns in der Gemeinschaft sicher fühlen.