Ein Leitfeuer ist ein Lichtsignal, welches in der Seefahrt die Richtung zu einem freien Seeraum anzeigt. So trocken lernt man das in der Theorie zum Hochseeschein. Ein Leitfeuer zeigt einen Kurs, auf dem man sein Schiff «sicher» in eine Richtung steuert. Ein Kurs ohne Hindernisse – ohne Untiefen, Felsen oder andere Gefahren. Auch wenn es stockdunkel ist, man nichts sehen kann. Das Leuchtfeuer zeigt einem den Weg und führt uns. Seine Bedeutung realisierte ich aber erst, als ich es in der Not am Steuer einer 40-Fuss-Segelyacht bei orkanartigem Sturm selbst erfahren hatte. Und ich ralisierte: Ein Leitfeuer ist immer da.
Blitze, Donner, heftiger Regen. Das war nach dem wolkenlosen Abend nicht vorauszusehen. Das Barometer war stets stabil und die Bucht zeigte sich am Vorabend malerisch, der Himmel wolkenlos und knallbalu. Es ist kurz nach Mitternacht. Ich erwache und bleibe tiefenentspannt, denn ich bin mir bombensicher, dass unser Anker hält. Blitze tauchen die Bucht während Sekundenbruchteilen in gleissend weisses Licht. Eigentlich wollte ich mich auf die andere Seite drehen und weiterschlafen. Doch der Kontrollblick durch die Luke zeigt, dass die Yacht, welche neben uns geankert hatte, noch ein paar Meter von unserem Backbord entfernt ist. Da muss sich ihr Anker gelöst haben. «Verdammt», denke ich und realisiere im nächsten Augenblick, dass der Nachbar auch unseren Anker ausgerissen hat. Bis zu den Felsen bleiben etwa 30 Meter. Ich stürme durch den Bauch der Segelyacht: «Rettungswesten an und alle an Deck!» Rufe es und haste ans Steuer. Der Motor läuft sofort an. «Federt ihn ab. Er wird uns rammen». Meine Kommandos verschwinden im Lärm des Sturms. «Zieht den Anker hoch, wir müssen weg hier». Mein Blut pocht in den Adern, mein Puls rast. Nur langsam gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit. Jeder Blitz gibt den Blick frei auf das Geschehen. Die Felsen rücken bedrohlich näher. Der Anker ist blockiert, verheddert mit dem der Nachbarsyacht. Da hilft nur noch Abtrennen.
Ich werfe den Gashebel nach vor. Verzweifelt kämpfe ich gegen die Kräfte der Natur an. Wind und Strömung sind enorm. Noch etwas zehn Meter bleiben zu den Felsen. Ich gebe Vollgas, werfe das Steuer ganz nach rechts. Endlich dreht sich die Yacht in den Wind und nimmt langsam Fahrt auf. Nur weg hier in den nächsten Hafen! Kurz drehe ich den Kopf und sehe das andere Boot auf den Felsen liegen. Mich schaudert beim Anblick seines Kiels und ich steure mein Schiff Richtung Meer. «Mayday, mayday». In allen Stimmlagen tönen panisch abwechselnd Frauen- und Männerstimmen aus dem Funk. Ich nehme es nur von Weitem wahr. Je mehr wir uns dem offenen Meer nähern, desto brutaler werden Wind und Wellen. Ich spüre nicht mehr, wie mir der Regen ins Gesicht peitscht. Auch nicht, dass ich komplett durchnässt bin. Das Adrenalin peitscht durch meine Adern. Meine Hände sind eiskalt. Mit aller Kraft umklammere ich das Steuer, brauche meinen ganzen Körper, um den Kurs einigermassen zu halten. Die ganze Crew ist seekrank. Sie krümmen sich in der Kabine und übergeben sich abwechslungsweise. Doch ich höre ihr Ächzen und Stöhnen nicht. Ich will zurück auf der Route, auf der wir gekommen waren – gestern bei strahlendem Sonnenschein durch all diese Inseln.
Es ist stockdunkel. Keine Lichter sind an den Inselufern auzumachen. Nur das Licht der Navigation strahlt minimale Sicherheit aus. Unser Segelschiff kämpft sich unter Motor durch die Wellenberge: drei Meter hoch und krachend wieder drei Meter runter. Crew und Schiff sind gefordert. So alle Minuten überflutet mich eine kalte Welle am Steuer. «Mayday, mayday», klingt es weiter aus dem Funk. Ich weiss, dass jetzt keine Rettung kommen würde und bete, wie ich noch nie gebetet hatte. Als Skipp bin ich verantwortlich für Schiff und Crew. Die Menschen auf diesem Boot sind meine Freundinnen. Auch meine Schwester ist an Bord. Ich musste sie retten. «Lieber Gott. Wenn es dich gibt….». Immer wieder erfassen Strömungen die Yacht. Ich bin ohnmächtig, das Boot nur bedingt steuerbar. Ich könnte heulen, aber ich kämpfe. Für mich, meine Freundinnen und das Boot. Ich identifiziere die Leuchttürme in Sichtweite. Jeder Leuchtturm blinkt anders: kurz, lang, abwechselnd in Rhythmus und Farbe. Die Hilferufe aus dem Funk lassen nicht nach, der Wind bläst immer noch orkanmässig mit über 50 Knoten, rund 100 km/h. Der Motor stampft, das Schiff kämpft sich durch den Sturm und ich bete weiter.
Und da ist es plötzlich. Hinten am Horizont. Noch ist es ziemlich klein. Ein kleines Licht, aber um Welten heller als jeder Leuchtturm. Je näher ich komme, desto greller und grösser wird es. Es ist wie die rettende Hand eines Engels, die sich mir entgegenreckt. «Ein Leittfeuer», schiesst es mir durch den Kopf. Was ich in der Theorie als nackten Begriff gelernt hatte, zeigt sich hier als physische Rettung. Mit einem Mal wird mein Puls ruhiger. Ich atme tief durch. «Mein Wegebereiter». Eine unendliche Dankbarkeit erfüllt mich. Immer noch tönen Mayday-Hilferufe in allen Tonlagen aus dem Funkgerät. Aber ich spüre plötzlich dieses Vertrauen und weiss haargenau, dass wir es schaffen werden. Das Leitfeuer gibt mir die Richtung und die Gewissheit, sicher zu sein in diesem Sturm.
Und ich realisiere: Was für ein Signal in zweifacher Hinsicht! Denn die Kraft eines Leitfeuers, tragen wir alle in uns. Wenn wir dem Leben vertrauen und uns von unserer Intuition führen lassen, können wir das Leitfeuer fühlen, welches uns sicher auf unserem Weg auf das nächste Ziel zusteuern lässt.